Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald,
Misericordia International,
Exzellenzcluster »Bild Wissen Gestaltung. Ein interdisziplinäres Labor«, Humboldt-Universität zu Berlin
Chorgestühle und ihre Werkstätten
Greifswald, 23. – 26. Juni 2016
Chorgestühle waren nicht nur schlichte Sitzgelegenheiten, sondern gehörten mit ihren z.T. hochkomplexen Bildsystemen zu den wichtigsten und aufwändigsten künstlerischen Aufgaben in mittelalterlichen Kathedralen, Konvents-, ja selbst Pfarrkirchen. In Greifswald wird sich erstmals eine wissenschaftliche Tagung mit dem Werkstattkontext der Chorgestühle beschäftigen. In der jüngeren Vergangenheit konzentrierte sich die Forschung - auch im Rahmen von Misericordia International – im Wesentlichen auf ikonographische Forschungen sowie Form- und Stilanalysen. Bis auf wenige Studien, die sich fast ausschließlich auf die Ulmer Syrlin-Werkstatt fokussierten, fehlen jüngere Arbeiten, die sich den Werkstätten und ihren Arbeitsbedingungen widmen. Hier setzt die geplante Greifswalder Tagung an. Künstlerinschriften auf den Gestühlen werfen komplexe Fragen auf: Nennt sich in ihnen der ausführende Handwerker selbst, oder ist es der Auftrag nehmende Unternehmer, der gleichsam stellvertretend für seine Werkstatt steht? Vielleicht ist in ihm auch der Bildhauer zu fassen, der für die figürliche Skulptur verantwortlich zeichnet? Fest steht jedenfalls, dass Chorgestühle für ein einzelnes Künstlerindividuum nicht herzustellen waren. Welche Arbeitsteilung aber entspricht der mittelalterlichen Werkstattpraxis? Wie lassen sich – abgesehen von der Stilkritik – Werkstattzusammenhänge rekonstruieren?
Werkstattpraxis
Die Erforschung dieser Fragenkomplexe fügt sich in moderne wissenschaftliche Forschungsansätze ein, wie sie in z.B. im Bereich der Buchmalerei bereits etabliert sind. Unsere geplante Tagung zum Thema Werkstatt und Kunstproduktion möchte in einer Engführung auf die Gattung Chorgestühl einen offensichtlichen Forschungsbedarf decken und die Herstellung von Chorgestühlen als einen ganzheitlichen Prozess betrachten. Darüberhinaus intendiert die Tagung einerseits die Präsentation von bislang unbekanntem Untersuchungsmaterial, darüber hinaus sollen erste auf der Grundlagenforschung aufbauende Ergebnisse vorgestellt werden.
Die Vorträge analysieren die grundlegenden technischen und künstlerischen Vorarbeiten, die im Vorfeld der eigentlichen Ausführung der Chorgestühle notwendig waren, wie die zeichnerischen Entwürfe (Visierungen), gebaute Modelle sowie gefügekundliche Untersuchungen in Fallstudien. Weitergreifende wirtschaftshistorische Fragestellungen sollen insbesondere mit Hilfe von Studien zur Zusammenarbeit von Tischlern, Bildschnitzern und Fassmalern an Chorgestühlen beantwortet werden. Wie für die kunsthistorische Forschung allgemein stellt sich auch in Bezug auf Chorgestühle die Frage nach der Überlagerung und Veränderung charakteristischer regionaler Werkstattgewohnheiten durch die Tätigkeit von Wanderhandwerkern und damit auch nach dem Verhältnis von Kunstzentrum und Peripherie. Archivalische Forschungen zu den (spärlich erhaltenen) Schriftquellen, die den kunsthistorischen Forschungsstand zu Einzelobjekten auf den Prüfstand stellen, führen in Einzelfällen zu neuen Erkenntnissen.
Darüberhinaus widmet sich eine Tagungssektion Gestühlen aus Stein und hinterfragt die Wechselbeziehungen und zwischen den Materialen Holz und Stein sowie den gegenseitigen Beeinflussungen der Gattungen liturgischer Möbel Chorgestühl und Sedilia. Der Diskurs für weitergehende Fragen nach der Beziehung zur Architektur und baugebundenen Skulptur und den Bauhütten ist somit eröffnet.
Die Zielgruppe der Tagung sind Kunst-, Wirtschafts- und Technikhistoriker_innen, bildbezogen arbeitende Historiker_innen sowie Restaurator_innen.
Der Tagungsort Greifswald ist mit Bedacht gewählt. Norddeutschland ist eine durchaus reiche und komplexe „Chorgestühlslandschaft“, deren Erforschung eine lohnende Aufgabe darstellt. In vielen Kloster- und Pfarrkirchen der Region haben sich umfangreiche, wenngleich häufig fragmentierte Gestühle erhalten, die durch Passstücke in den Museen des Landes ergänzt werden. Dennoch ist selbst unter einschlägigen Wissenschaftlern dieser Reichtum kaum bekannt, geschweige denn wissenschaftlich bearbeitet. Das Kolloquium möchte somit zu einer Neuinterpretation der Stücke anregen und neue Impulse liefern.
Call for Abstracts
MISERICORDIA INTERNATIONALE KOLLOQUIUM 2016
Thema: Chorgestühle und ihre Werkstätten
Misericordia International ist ein international agierendes multidisziplinäres Netzwerk, das sich einer breit aufgestellten Erforschung der Ausstattungsgattung Chorgestühl verschrieben hat. Ausgehend von der künstlerischen Gestaltung widmen sich die Studien dem Verhältnis zu anderen künstlerischen Ausformulierungen und deren Verbreitung im Mittelalter und jüngeren Epochen. Der intensive Austausch mit Wissenschaftlern benachbarter Fachrichtungen zeigt Schnittstellen zwischen den Fachrichtungen und Untersuchungsgegenständen auf und liefert neue Impulse für die Erforschung von Chorgestühl. Grundlage für den wissenschaftlichen Austausch sind die in einem zweijährlichem Turnus stattfindenden Kolloquien. Im Fokus des im Juni 2016 in Greifswald stattfindenden Kolloquiums stehen die Chorgestühlswerkstätten des Mittelalters. Inschriften wie „en stolthe dat het ghemaket mester hans“ werfen komplexe Fragen auf. Handelt es sich bei Meister Hans um den alleinig ausführenden Handwerker oder den Auftrag nehmenden Unternehmer und seine Werkstatt? Vielleicht ist in ihm auch der Bildhauer, der sich für die figürliche Skulptur verantwortlich zeichnet, zu fassen? Allein ist dieses Werk kaum ausführbar. Was aber entspricht der mittelalterlichen Werkstattpraxis? Wodurch noch lassen sich neben der Stilkritik Werkstattzusammenhänge aufdecken?
Das Kolloquium erhofft sich Präsentationen zu:
• Archivalienbezogenen Forschungen, die den kunsthistorischen Forschungsstand zu Einzelobjekten auf die Probe stellen;
• Inschriften und der intendierten Verwendung verschiedener Typographien;
• wirtschaftsrelevanten Fragen;
• der Zusammenarbeit von Tischlern, Bildschnitzern und Fassmalern an Chorgestühlen;
• Mechanismen, die bei der Verbreitung neuer Stile und Techniken, wie beispielsweise Intarsien, zum Tragen kommen und welche Werkstätten sie vermittelten;
• dem Verschmelzen regionaler Charakteristika aufgrund von Wanderhandwerkern;
• der Problematik von Kunstzentrum und Peripherie oder
• dem Phänomen Klosterwerkstätten.
Willkommen sind auch Beiträge zu Gestühlen aus jüngeren Epochen, sowie Referate, die sich mit Musterbüchern und/oder dem Phänomen der Kirchenausstatter im späten 19. Jahrhundert beschäftigen.
Die Konferenzsprache ist Englisch. Eine zeitnahe Publikation der Beiträge ist vorgesehen.
Der Call for Abstracts ist beendet.
Programm
Donnerstag, 23. Juni 2016
12:30 Uhr Registrierung
Begrüßung
13:00 Uhr Frédéric Billet, Vorsitzender der Misericordia International, Sorbonne Paris: Begrüßung
13:10 Uhr Gerhard Weilandt, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald: Einführung
Sektion I Werkstattpraxis
Chair: Frédéric Billet
13.20 Thomas Eißing (Universität Bamberg): Holzverbindungen und Holzartenauswahl als Quelle zur Erforschung historischer Handwerkstechniken - eine methodische Einführung
14.00 Anja Seliger (Exzellenzcluster Bild Wissen Gestaltung, Humboldt-Universität Berlin): To get an idea – Visualization as a starting point in the manufacturing process
14.40 Break
14.50 Angela Glover (University of Toronto): Module as Model for Early Modern Choir Stalls
15.30 Kristiane Lemé-Hébuterne (Université de Picardie Jules Verne, Amiens): Big seats for fat Benedictines, small ones for slender Cistercians? – Some statistics on the size
16.10 Break
Sektion II Chorgestühle der frühen Neuzeit – Tradition oder Neubeginn?
Chair: Gerdi Maierbacher-Legl
16.25 Volker Dietzel (Dresden): Berufsbezeichnungen und Werkzeugnamen der Tischler, Schreiner und Kistler
17.05 Ulrich Knapp (Leonberg): The Choir stalls of Salem Cistercian Monastery Church as testimony of liturgical and economical re-forms (1588 till 1593)
17.45 Jörg Lampe (Akademie der Wissenschaften Göttingen): The Choir Stalls of the Monasteries of Pöhlde and St. Alexandri in Einbeck – Observa-tions on their Time of Origin from an Epigraphical and Historical Point of View
18.25 Break
19.00 Abendvortrag in der Aula
Dorothee Heim (Berlin): An international entrepreneur in Spain around 1500 - The carver Rodrigo Alemán and his choir stalls
20.15 Get-together
Freitag, 24. Juni 2016
09:30 Uhr Registrierung, Kaffeeauftakt
Sektion III Steinerne Gestühle - eine vergessene Möbelgattung
Chair: Jens Rüffer
10.00 Jörg Widmaier (Universität Tübingen): The stone bench of Burs – Gotland’s masonry in context and their connections to the main land
10.40 Erika Loic (Harvard University): Liturgical Activation of Master Mateo’s Stone Choir in Santiago de Compostela
11.20 Break
11.35 James Alexander Cameron (The Courtauld Institute of Art, London): Reflexivity between stone sedilia and ecclesiastical carpentry in medieval England
Sektion IV Autorenschaft und Werkgruppen
Chair: Anja Seliger
12.20 Willy Piron (Radboud University, Nijmegen): The bilobate misericords of the Lower-Rhine area - A local phenomenon?
13.00 Lunch Break
14.20 Christel Theunissen (Radboud University Nijmegen): Jan Borchman and his fellow craftsmen. The creation of choir stalls in the Low Countries
15.00 Barbara Spanjol-Pandelo (University of Rijeka): Matteo Moronzon – An artist or a project manager of a woodcarving workshop?
Chair: Gerhard Weilandt
15.40 Gerdi Maierbacher-Legl (HAWK-FH-Hildesheim): Das Chorgestühl von 1537 aus Tobsdorf/Dupus in Siebenbürgen/Rumänien. Aspekte der Werktechnik und Bezüge zum Schäßburger Meister Johannes Reychmut
16.20 Break
16.40 Detlef Witt (Greifswald): Die Wangen der Anklamer Chorgestühle
17.20 Kaja von Cossart (Drechow): The choir and other 13th century furniture in the Cistercian Monastery Doberan
18.00 Final discussion
18.45 General meeting of the Misericordia International members
20.00 Get-together
Samstag 25.Juni 2016
Ganztagsexkursion Treffpunkt: 8.00 Bahnhofsvorplatz
9.30 Bad Doberan, Münster, ehemalige Zisterzienserklosterkirche
11.00 Retschow, Dorfkirche
12.15 Rostock, Kloster zum Heiligen Kreuz, heute Universitätskirche und Kulturhistorisches Museum Rostock
Mittagspause in Rostock, Weiterfahrt 15.30
16.00 Ribnitz-Damgarten, St. Klaren-Kloster
18.00 Uhr Rückfahrt nach Greifswald
Sonntag 26.Juni 2016
Halbtagesexkursion nach Stralsund
Treffpunkt: 9.00 Bahnhof Greifswald
St. Nikolaikirche (Riga-Fahrer-Gestühl u.a.)
Kulturhistorisches Museum Stralsund (ehemaliges St. Katharinen-Kloster, Fragmente aus Anklam)
14.00 St. Jakobikirche (Depot)
Wir werden die Stadt Stralsund zu Fuß erkunden. Bitte berücksichtigen Sie dies bei der Wahl ihres Schuhwerkes und der Kleidung.
Tagungsende gegen 15 Uhr.
Anmeldung
Wir bitten um verbindliche Anmeldung bis zum 17.06.2016.
Bitte geben Sie bei der Anmeldung an, ob Sie an der ganztägigen Busexkursion am Samstag den 25.06.2016 und/oder der Halbtagsexkursion mit der Bahn nach Stralsund am Sonntag den 26.06.2016 teilnehmen möchten. Die Teilnahme an den Vortragstagen ist kostenlos.
Gebühren werden für die Teilnahme an den Exkursionen erhoben. Inklusive aller Museumseintritte und des Bahntickets belaufen sie sich auf eine Höhe von:
35 Euro für die Busexkursion am 25.06.2016
12 Euro für die Bahnexkursion am 26.06.2016
Die Anmeldung können Sie unter diesem Link vornehmen https://www.interdisciplinary-laboratory.hu-berlin.de/de/anmeldeformular-tagung-chorgestuehle-und-ihre-werkstaetten oder senden Sie eine Email an seligera@cms.hu-berlin.de.
Veranstaltungsorte
Tagung
Donnerstag, 23. bis Freitag, 24. Juni 2016
Konferenzsaal im Hauptgebäude der Universität Greifswald
Domstraße 11 / Eingang 2
17489 Greifswald
Keynote
Donnerstag 23. Juni 2016
19.00 Uhr
Aula im Hauptgebäude der Universität Greifswald
Domstraße 11 / Eingang 2
17489 Greifswald
Exkursion
Beide Exkursionen starten am Bahnhof Greifswald.
Anreise
Greifswald ist mit dem Zug komfortabel zu erreichen. Der Greifswalder Hauptbahnhof liegt in unmittelbarer Nähe zum Universitätsgebäude in der Innenstadt. Er wird von der Strecke Stralsund-Berlin bedient und ist sowohl mit dem Inter-City, als auch mit dem Regionalexpress über eine Direktverbindung von Berlin erreichbar.
Der Zustieg in alle Züge von Berlin nach Greifswald ist an den Bahnhöfen Berlin-Hauptbahnhof und Berlin-Gesundbrunnen möglich.
Stündlich gibt es eine Verbindung nach Greifswald. Die Fahrt von Berlin nach Greifswald dauert rund 2,5 Stunden. Fahrpreis (einfach/ohne Ermäßigungen): rund 30 € (RE), 39 € (IC/EC). Besonders günstig ist das Ostsee-Ticket, dass für Hin- und Rückfahrt gilt.
Die Fahrt von Hamburg nach Greifswald dauert rund drei bis fünf Stunden. Es gibt regelmäßige Verbindungen mit Zu-/Umsteigemöglichkeiten in Stralsund, Lübeck oder Rostock. Fahrpreis (einfach/ohne Ermäßigungen): zwischen 42 und 54 €
Impressum
Eine Tagung der Ernst-Moritz-Arndt-Universität, Caspar-David-Friedrich-Institut und Misericordia International in Kooperation mit dem Exzellenzcluster »Bild Wissen Gestaltung. Ein interdisziplinäres Labor«. Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
Partner
Konzept und Organisation
Anja Seliger M.A., Wissenschaftliche Mitarbeiterin, »Bild Wissen Gestaltung. Ein interdisziplinäres Labor«
Prof. Dr. Gerhardt Weilandt, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Caspar-David-Friedrich-Institut
Layout & Design
Johannes Herseni, Interface Designer, »Bild Wissen Gestaltung. Ein interdisziplinäres Labor«
http://johannesherseni.com
Babette Wiezorek, Product Designer, »Image Knowledge Gestaltung. An Interdisciplinary Laboratory«
Babette Wiezorek, Product Designer, »Image Knowledge Gestaltung. An Interdisciplinary Laboratory« https://www.interdisciplinary-laboratory.hu-berlin.de/de/personen/babette-wiezorek
Kontakt
Exzellenzcluster »Bild Wissen Gestaltung. Ein interdisziplinäres Labor«
Humboldt-Universität zu Berlin
Unter den Linden 6
10099 Berlin